Finanzgerichtsprozess: Darf die gesamte Akte bei einer Akteneinsicht eingescannt werden?
Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat am 20.04.2021 ein Schreiben zur Haftung für Umsatzsteuer beim Handel mit Waren im Internet herausgegeben.
Mit der Umsetzung des Digitalpakets zum 01.07.2021 in der EU sind die Vorschriften zur Haftung von elektronischen Schnittstellen neu gefasst worden. Das aktuelle BMF-Schreiben ergänzt den Umsatzsteuer-Anwendungserlass um acht neue Abschnitte. In diesem Zusammenhang werden Verwaltungsanweisungen zum Bestätigungsverfahren sowie zu den besonderen Aufzeichnungspflichten und Haftungsvorschriften für die Betreiber elektronischer Schnittstellen bekanntgegeben. Zudem werden die erst im Jahr 2019 eingefügten Regelungen zur Haftung des Betreibers eines elektronischen Marktplatzes zum 01.07.2021 aufgehoben.
Zum neuen Bestätigungsverfahren führt die Finanzverwaltung aus, dass Betreiber elektronischer Schnittstellen nicht für nichtentrichtete Umsatzsteuerbeträge für Lieferungen durch Unternehmer, die sie mit ihrer elektronischen Schnittstelle unterstützt haben, haften. Voraussetzung ist, dass die liefernden Unternehmer im Zeitpunkt der Lieferung über eine gültige deutsche Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-IdNr.) verfügen. Die Betreiber können sich beim Bundeszentralamt für Steuern die Gültigkeit der USt-IdNr., den Namen und die Anschrift des Unternehmers qualifiziert bestätigen lassen. Zu beachten ist, dass der anfragende Unternehmer den Nachweis durch Ausdruck der elektronischen Anzeige bzw. eine Archivierung eines Screenshots führen muss.
Zusätzlich zu den seit dem 01.01.2019 vorhandenen Aufzeichnungspflichten sind nunmehr auch die elektronische Adresse oder Website des liefernden Unternehmers, die Bankverbindung oder die Nummer des virtuellen Kontos des Lieferers sowie eine Beschreibung des gelieferten Gegenstands und die Bestellnummer oder die eindeutige Transaktionsnummer aufzuzeichnen. Die wesentliche Änderung ist die Umstellung des Nachweises, dass der Unternehmer, der die Leistung über eine Schnittstelle ausführt, im Inland registriert ist. Bislang konnte der Nachweis über die besondere Bescheinigung UST 1 TI erfolgen.
Die Finanzverwaltung erläutert ferner drei verschiedene Fallgruppen zu den neuen Haftungsregelungen.
Hinweis: Es wird von der Finanzverwaltung nicht beanstandet, wenn bis zum 15.08.2021 noch die bisherige Bestätigung UST 1 TI verwendet wird.Information für: Unternehmerzum Thema: Umsatzsteuer(aus: Ausgabe 07/2021)
Viele Erwerbstätige haben in den Pandemie-Jahren 2020 und 2021 im Homeoffice gearbeitet und sich für zu Hause neue technische Geräte zugelegt. Wer PCs, Notebooks, Drucker und Software für eine (nahezu ausschließlich) berufliche Nutzung angeschafft hat, kann steuerlich von einer neuen, verkürzten Abschreibungsdauer profitieren: Das Bundesfinanzministerium hat die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer für Computerhardware und Software auf ein Jahr herabgesetzt, so dass für diese Wirtschaftsgüter nun eine Sofortabschreibung möglich ist. Bislang mussten PCs, Drucker und Software mit Anschaffungskosten von mehr als 800 EUR netto über einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren abgeschrieben werden.
Hinweis: Die neue Sofortabschreibung gilt beispielsweise für PCs, Monitore, Notebooks, Workstations, Dockingstations, externe Speicher- und Datenverarbeitungsgeräte, Netzteile sowie Peripheriegeräte wie Tastaturen, Scanner, Headsets, Webcams, Beamer, Lautsprecher und Drucker. Als Software begünstigt ist Betriebs- und Anwendersoftware. Beruflich genutzte Smartphones dürfen nach wie vor nur sofort abgeschrieben werden, wenn ihr Kaufpreis maximal 800 EUR netto beträgt. Liegt der Preis darüber, muss das Gerät über fünf Jahre abgeschrieben werden.
Steuerzahler sollten wissen, dass sie ihre Hard- und Software nur dann vollständig abschreiben können, wenn sie diese zu mindestens 90 % beruflich nutzen. Ist der private Nutzungsanteil höher, muss zwischen privater und beruflicher Nutzung unterschieden werden. In diesem Fall wäre nur der berufliche Anteil absetzbar. Wer also beispielsweise einen Laptop zu 50 % beruflich nutzt, kann nur die Hälfte der Kosten per Sofortabschreibung geltend machen. Für steuerliche Zwecke können Arbeitnehmer eine Bestätigung ihres Arbeitgebers einholen, aus der sich der berufliche Nutzungsumfang ergibt.
Hinweis: Die Sofortabschreibung ist für Arbeitnehmer häufig günstiger als die Abschreibung über mehrere Jahre, denn durch sie ist es nun leichter möglich, den Arbeitnehmer-Pauschbetrag von 1.000 EUR pro Jahr zu überschreiten.Information für: allezum Thema: Einkommensteuer(aus: Ausgabe 08/2021)
Wer längere Zeit arbeitslos ist, kann Arbeitslosengeld II beantragen. Hat man außerdem Kinder, so erhält man Kindergeld. Jedoch wird das Kindergeld auf das Arbeitslosengeld II angerechnet, da es als Einkommen zählt. Angenommen, die Behörde macht einen Fehler, indem sie das Kindergeld nicht als Einkommen berücksichtigt, so dass zusätzlich (zu viel) Kindergeld gezahlt wird. Darf man es dann behalten? Das Finanzgericht Baden-Württemberg (FG) musste hierüber entscheiden.
Die Klägerin bezieht seit Jahren Arbeitslosengeld II. Nach der Geburt ihres Kindes N im August 2016 wurde das Arbeitslosengeld II neu festgesetzt. Bei den ab 01.08.2016 rückwirkend auf für N gezahlten Leistungen wurde der Anspruch auf Kindergeld für N nicht als Einkommen angerechnet. Die Stadt X machte gegenüber der Familienkasse einen Erstattungsanspruch geltend und bat diese zudem, die Nachzahlung des Kindergeldes bis zur Mitteilung der Höhe des Erstattungsanspruchs einzubehalten. Das Schreiben wurde bei der Familienkasse jedoch nicht der richtigen Akte zugeordnet. Hierdurch wurde bis Juni 2017 Kindergeld an die Klägerin gezahlt. Im Juli 2017 wurde das Kindergeld von der Familienkasse an die Stadt X erstattet. Anschließend forderte die Familienkasse von der Klägerin das gezahlte Kindergeld von insgesamt 2.102 EUR zurück.
Die dagegen erhobene Klage vor dem FG war nicht erfolgreich. Die Familienkasse hatte einen zutreffenden Erstattungsanspruch. Denn der Anspruch der Klägerin auf Kindergeld gilt aufgrund der sogenannten Erfüllungsfiktion bereits durch die erhaltenen Leistungen (Arbeitslosengeld II) der Stadt X als erfüllt. Somit wurde das festgesetzte und zusätzlich ausgezahlte Kindergeld insoweit doppelt und ohne rechtlichen Grund geleistet. Der Sozialleistungsträger hat dann einen Erstattungsanspruch gegen die Familienkasse. Dieser entsteht bereits Kraft Gesetz. Die Familienkasse wusste von den Leistungen der Stadt X an die Klägerin, da sie bereits im Jahr 2016 darüber informiert wurde. Auch wenn das Schreiben zunächst in der falschen Akte abgelegt wurde, hatte die Familienkasse dennoch Kenntnis erlangt.Information für: allezum Thema: übrige Steuerarten(aus: Ausgabe 10/2021)
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass ein vermietetes Grundstück im Inland allein keine feste Niederlassung im Inland begründet. Ausländische Unternehmer, die ein im Inland gelegenes Grundstück vermieten, sind nicht insoweit als im Inland ansässig zu behandeln. Dies hat zur Folge, dass für deren B2B-Umsätze das Reverse-Charge-Verfahren anzuwenden ist.
Im Streitfall ging es um eine Gesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung auf der Kanalinsel Jersey. Sie vermietete eine Immobilie in Wien umsatzsteuerpflichtig an zwei österreichische Unternehmer. Mit der Verwaltung beauftragte sie ein Hausverwaltungsunternehmen. Die Managemententscheidungen sowie die Auswahl von Drittunternehmen traf sie selbst. Strittig war, ob sie für ihre Vermietungstätigkeit im Zusammenhang mit der Immobilie in Ermangelung einer festen Niederlassung in Österreich keine Umsatzsteuer schuldete. Das Finanzamt war der Ansicht, dass sie in Österreich ansässig sei und Umsatzsteuer abzuführen habe.
Der EuGH sah dies jedoch anders. Eine umsatzsteuerliche Betriebsstätte setze zwingend eine personelle Ausstattung voraus. Eine noch so beständige sachliche Ausstattung allein genüge nicht. Im Streitfall verfüge die Vermieterin nicht über eigenes Personal. Eine Immobilie, bei der keine personelle Ausstattung vorhanden sei, die zu autonomem Handeln befähige, erfülle nicht die von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien für die Einstufung als feste Niederlassung.
Eine in einem Mitgliedstaat vermietete Immobilie stellt daher keine feste Niederlassung dar, wenn der Eigentümer der Immobilie nicht über eigenes Personal für die Leistungsbewirkung im Zusammenhang mit der Vermietung verfügt.
Hinweis: Das Urteil widerspricht der deutschen Verwaltungsauffassung. Die deutsche Finanzverwaltung behandelt Unternehmer, die ein im Inland gelegenes Grundstück besitzen und steuerpflichtig vermieten, insoweit als im Inland ansässig. Deshalb sollten bisherige umsatzsteuerliche Einordnungen vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung geprüft und neu bewertet werden.Information für: Unternehmerzum Thema: Umsatzsteuer(aus: Ausgabe 11/2021)
Prozessbeteiligte haben in einem finanzgerichtlichen Verfahren das Recht, die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten einzusehen. Auf eigene Kosten können sie sich bei einem solchen Termin zudem - in der Regel einzelne - Kopien anfertigen lassen. Werden die Prozessakten bei Gericht elektronisch geführt, wird die Akteneinsicht durch die Bereitstellung des Akteninhalts zum Abruf gewährt. Sofern die Akten in Papierform geführt werden, muss die Akteneinsicht in den Diensträumen (z.B. einer Behörde) erfolgen.
Dass das Recht zur Akteneinsicht überstrapaziert werden kann, zeigt ein neuer Fall des Bundesfinanzhofs (BFH), in dem der Kläger verlangte, die gesamte Akte während der Einsicht einscannen zu dürfen.
Die Bundesrichter lehnten einen solchen Anspruch ab und verwiesen darauf, dass sich die Grenzen des Akteneinsichtsrechts danach richten, was zur Erleichterung der Prozessführung erforderlich ist.
Ein Anspruch auf die Kopie der gesamten Akte besteht nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur, wenn substantiiert und nachvollziehbar dargelegt wird, warum nur eine "Vollkopie" eine sachgerechte Prozessführung ermöglicht. Über solche Ausnahmefälle hinaus besteht kein Anspruch auf "Vollkopie". Gleiches gilt nach Auffassung des BFH, wenn ein Prozessbeteiligter den gesamten Akteninhalt mit einem eigenen Gerät kopieren bzw. einscannen will.
Im zugrundeliegenden Fall hatte der Kläger keine substantiierten und nachvollziehbaren Gründe dafür vorgetragen, dass nur ein Scannen der gesamten Akte ihn in die Lage versetzen kann, den Prozess sachgerecht zu führen.Information für: allezum Thema: übrige Steuerarten(aus: Ausgabe 01/2022)
Grundsätzlich unterliegen Sachspenden als unentgeltliche Wertabgaben der Umsatzsteuer, sofern der Gegenstand zum Vorsteuerabzug berechtigt hat. Das Bundesfinanzministerium (BMF) erläutert mit Schreiben vom 18.03.2021 wie die Bemessungsgrundlage in solchen Fällen zu ermitteln ist. Der Umsatzsteuer-Anwendungserlass ist in diesem Zusammenhang angepasst worden. In einem weiteren Schreiben, ebenfalls vom 18.03.2021, gewährt das BMF eine befristete Billigkeitsregelung für Sachspenden.
Zunächst stellt das BMF in seinem ersten Schreiben klar, dass es nach der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie nicht möglich ist, bei Sachspenden aus einem Unternehmen aus Billigkeitsgründen auf eine Umsatzbesteuerung zu verzichten. Die Bemessungsgrundlage einer Sachspende bestimmt sich nach dem fiktiven Einkaufspreis zum Zeitpunkt der Spende und nicht nach den ursprünglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten.
Das BMF erörtert nun erstmals, wie die Bemessungsgrundlage mit Blick auf die Beschaffenheit des Gegenstands zu ermitteln ist. Bislang hat das für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage keine Rolle gespielt. Es ist zu berücksichtigen, ob der Gegenstand zum Zeitpunkt der Spende aufgrund seiner Beschaffenheit nicht mehr oder nur noch stark eingeschränkt verkehrsfähig ist. Hiervon ist unter anderem bei Lebensmitteln auszugehen, die kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums stehen oder deren Verkaufsfähigkeit als Frischware (Backwaren, Obst, Gemüse) aufgrund von Mängeln nicht mehr gegeben ist. Das gilt auch für Non-Food-Artikel mit Mindesthaltbarkeitsdatum (Kosmetika, pharmazeutische Artikel, Tierfutter, Blumen). Werden diese Gegenstände gespendet, kann eine im Vergleich zu noch verkehrsfähiger Ware geminderte Bemessungsgrundlage angesetzt werden. Die Minderung ist im Umfang der Einschränkung der Verkehrsfähigkeit vorzunehmen. Der Ansatz einer Bemessungsgrundlage von 0 EUR kann jedoch nur bei wertloser Ware erfolgen.
Sofern Neuware ohne jegliche Beeinträchtigung aus wirtschaftlichen Gründen aus dem Warenverkehr ausgesondert wird (z.B. beschädigte Verpackung), liegt keine eingeschränkte Verkehrsfähigkeit vor. In diesem Fall ist ein fiktiver Einkaufspreis anhand objektiver Schätzungsunterlagen zu ermitteln.
In einem weiteren Schreiben gewährt das BMF, begleitend zu den bereits getroffenen Corona-bedingten steuerlichen Hilfsmaßnahmen, eine befristete Billigkeitsregelung für Sachspenden. Die Corona-Krise und die damit einhergehenden Maßnahmen des Lockdowns haben insbesondere beim Einzelhandel zu einer einzigartigen Belastung geführt. Daher wird bei Waren, die von Einzelhändlern an steuerbegünstigte Organisationen gespendet werden, auf die Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe verzichtet.
Hinweis: Die Grundsätze des ersten Schreibens sind auf alle offenen Fälle anzuwenden. Die Billigkeitsregelung gilt nur für Spenden, die zwischen dem 01.03.2020 und dem 31.12.2021 erfolgt sind bzw. erfolgen.Information für: Unternehmerzum Thema: Umsatzsteuer(aus: Ausgabe 06/2021)