Neues Urteil zum Reemtsma-Anspruch: Direktanspruch gegen die Finanzverwaltung auch bei zivilrechtlicher Verjährung?

Stellt ein Unternehmer Umsatzsteuer zu Unrecht in Rechnung und wird dieser Fehler erst zu einem späteren Zeitpunkt bemerkt, hat der Unternehmer die ihm von seinem Leistungsempfänger gezahlte Umsatzsteuer nach zivilrechtlichen Grundsätzen zurückzuzahlen. Ist dem Leistungsempfänger die Durchsetzung dieses zivilrechtlichen Anspruchs unmöglich oder übermäßig erschwert, hat er gegebenenfalls einen Direktanspruch gegen sein Finanzamt auf Auszahlung des Umsatzsteuerbetrags (sog. Reemtsma-Anspruch). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte dazu schon im Jahr 2007 Stellung genommen. Nach der sehr restriktiven Auffassung des Bundesfinanzministeriums (BMF) aus dem Jahr 2022 soll der Reemtsma-Anspruch dann nicht greifen, wenn der zivilrechtliche Anspruch des Leistungsempfängers gegen den Leistenden zivilrechtlich verjährt ist. Das Finanzgericht Münster hatte dem EuGH diese strenge Sichtweise zur Entscheidung vorgelegt. Konkret ging es um einen Land- und Forstwirt (Kläger), der in den Jahren 2011 bis 2013 Holz zum Regelsteuersatz (19 %) einkaufte und dieses als Brennholz zum ermäßigten Steuersatz (7 %) weiterverkaufte. Seine Lieferanten führten Umsatzsteuer in Höhe von 19 % an das Finanzamt ab. Im Rahmen einer Betriebsprüfung versagte das Finanzamt dem Kläger den Vorsteuerabzug in Höhe der Differenz zwischen Regel- und ermäßigtem Steuersatz (12 %). Er forderte daraufhin seine Lieferanten zur Rechnungsberichtigung und Rückerstattung der zu viel gezahlten Umsatzsteuer auf. Diese beriefen sich jedoch auf die zivilrechtliche Verjährung. Daraufhin stellte der Kläger beim Finanzamt einen Billigkeitsantrag auf Erstattung des Betrags nach den Reemtsma-Grundsätzen, der aber vom Finanzamt abgelehnt wurde. Der EuGH gab dem Landwirt allerdings recht. Er entschied, dass der Reemtsma-Anspruch auch dann bestehe, wenn der Leistungsempfänger, ohne dass ihm Betrug, Missbrauch oder Fahrlässigkeit vorgeworfen werden könne, eine Erstattung aufgrund der im nationalen Recht vorgesehenen Verjährung nicht mehr von seinem Lieferanten fordern könne. Die Gefahr einer doppelten Erstattung schließt der EuGH grundsätzlich aus, indem er den Erstattungsanspruch nach Rechnungsberichtigung einschränkt. Hinweis: Dieses Urteil zur Reemtsma-Rechtsprechung schafft weitere Klarheit. Der Leistungsempfänger erfährt einen weitergehenden Schutz, wenn sein Vorsteuerabzug gescheitert ist. Die bislang restriktive Sicht des BMF wird kaum zu halten sein. Betroffene Leistungserbringer sollten Billigkeitsanträge stellen und Rechtsbehelfe einlegen.Information für: Unternehmerzum Thema: Umsatzsteuer(aus: Ausgabe 12/2023)
Trotz des Fehlens der erforderlichen zolltariflichen Voraussetzung sind Lieferungen von Holzhackschnitzeln dem ermäßigten Umsatzsteuersatz zu unterwerfen, wenn die Holzhackschnitzel Brennholz sind. Das Bundesfinanzministerium (BMF) schließt sich damit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu Holzhackschnitzeln als Brennholz an. Die Lieferung von Holzhackschnitzeln unterlag bislang dem umsatzsteuerlichen Regelsteuersatz. Der BFH hatte im Jahr 2022 als Folgeentscheidung zu einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs entschieden, dass Holzhackschnitzel trotz des Fehlens der erforderlichen zolltariflichen Voraussetzung der Steuersatzermäßigung unterliegen. Das gelte jedoch nur dann, wenn die Holzhackschnitzel und das die zolltarifliche Voraussetzung erfüllende Brennholz aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers austauschbar seien. Das BMF übernimmt nun mit aktuellem Schreiben diese Auffassung für Holzhackschnitzel, die nach Aufmachung und Menge zum Verbrennen bestimmt sind. Eine Übertragung der BFH-Rechtsprechung auf andere Waren ist nicht vorgesehen. Das BMF stellt klar, dass der Verweis auf den Zolltarif weiterhin als Abgrenzungskriterium zur Steuersatzbestimmung dient. Hinweis: Die Grundsätze dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Es wird jedoch für vor dem 01.01.2023 ausgeführte Leistungen nicht beanstandet, wenn sich der leistende Unternehmer auf die Anwendung des Regelsteuersatzes beruft. Das gilt auch für Zwecke des Vorsteuerabzugs des Leistungsempfängers.Information für: Unternehmerzum Thema: Umsatzsteuer(aus: Ausgabe 07/2023)
Bei der Prüfung von Betrieben nimmt das Finanzamt häufig Hinzuschätzungen vor, wenn es die korrekten Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln kann. Eine zulässige Schätzungsmethode ist dabei der sogenannte äußere Betriebsvergleich, bei dem ein Vergleich mit den Ergebnissen anderer gleichartiger Betriebe vorgenommen wird. Um die erklärten Umsätze und Gewinne des geprüften Betriebs mit "Normalbetrieben" zu vergleichen, greift das Finanzamt dann auf amtliche Richtsätze zurück, die sich bei Prüfungen anderer gleichartiger Betriebe ergeben haben. Ob diese amtlichen Richtsatzsammlungen überhaupt eine tragfähige Grundlage für Hinzuschätzungen bilden können, wird nun erstmalig vom Bundesfinanzhof (BFH) überprüft. Geklagt hatte ein Diskothekenbetreiber, dessen Getränkeumsätze das Finanzamt im Zuge einer Außenprüfung mit einem der Richtsatzsammlung entnommenen Rohgewinnaufschlagsatz von 300 % hochgerechnet hatte. Der Betreiber zog gegen diese Hinzuschätzung vor den BFH und machte geltend, dass die amtlichen Richtsätze eine statistisch untaugliche Stichprobe seien, da nur sechs Promille der Betriebe als Prüfungsfälle überhaupt in die Datensammlung einfließen würden. Der BFH forderte nun das Bundesministerium der Finanzen (BMF) auf, dem Verfahren beizutreten. Die Bundesrichter erklärten, dass ein anhand der amtlichen Richtsatzsammlung vorgenommener äußerer Betriebsvergleich zwar eine anerkannte Schätzungsmethode ist, es bislang aber noch nicht höchstrichterlich betrachtet wurde, nach welchen Grundlagen und Parametern die Richtsätze überhaupt zustande gekommen sind. Hinweis: Das BMF muss nun also für Transparenz sorgen und darlegen, wie die Richtsätze aufgestellt werden. Der Ausgang des Verfahrens ist für die Praxis höchst relevant. Unternehmen, die derzeit Hinzuschätzungen auf Grundlage der amtlichen Richtsätze ausgesetzt sind, können Einspruch gegen ihre Bescheide einlegen und sich auf das anhängige BFH-Verfahren berufen, um ihren Fall vorerst verfahrensrechtlich offenzuhalten.Information für: Unternehmerzum Thema: übrige Steuerarten(aus: Ausgabe 06/2023)
Für die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand sind im Umsatzsteuergesetz (§ 18 Abs. 4f und 4g) Sonderregelungen für Gebietskörperschaften enthalten. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat in diesem Zusammenhang ein Anwendungsschreiben herausgegeben und den Umsatzsteuer-Anwendungserlass entsprechend angepasst. § 18 Abs. 4f UStG enthält Regelungen für die dezentrale Umsatzbesteuerung von Organisationseinheiten des Bundes und der Länder. Sofern Organisationseinheiten der Gebietskörperschaften Bund und Länder durch ihr Handeln eine umsatzsteuerliche Erklärungspflicht begründen, obliegen diesen Organisationseinheiten insoweit alle steuerlichen Rechte und Pflichten der jeweiligen Gebietskörperschaft für die Umsatzbesteuerung. Das BMF erläutert in seinem aktuellen Schreiben einige Begrifflichkeiten und Verfahrensaspekte. Dabei nimmt es insbesondere Stellung zum Begriff der Organisationseinheit, zur Bildung und Zusammenfassung von Organisationseinheiten, zur Überschreitung von Betragsgrenzen, zur einheitlichen Ausübung von Wahlrechten, zum Verzicht auf die dezentrale Besteuerung und zur Durchführung des Besteuerungsverfahrens für Organisationseinheiten. In § 18 Abs. 4g UStG sind Sondervorschriften für eine von den Vorschriften der Abgabenordnung abweichende Festlegung der örtlichen Zuständigkeit für die Besteuerung dieser Organisationseinheiten geregelt. In Bezug auf diese Sonderregelungen enthält das Schreiben neben allgemeinen Ausführungen auch Erläuterungen zur Anordnung der Zuständigkeit innerhalb eines Landes, zur Zuständigkeitsvereinbarung mit einer Landesfinanzbehörde eines anderen Landes und zur Zuständigkeitsvereinbarung für die Besteuerung von Organisationseinheiten der Gebietskörperschaft Bund. Hinweis: Zu Fragen des Vorsteuerabzugs bei unternehmerisch tätigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts wird ein gesondertes BMF-Schreiben angekündigt.Information für: Unternehmerzum Thema: Umsatzsteuer(aus: Ausgabe 09/2023)
Umsätze von Museen, Theatern, Orchestern und Büchereien können umsatzsteuerfrei erbracht werden, sofern es sich um Einrichtungen des Bundes, der Länder, der Gemeinden oder der Gemeindeverbände handelt. Gleiches gilt nach dem Umsatzsteuergesetz für Umsätze von gleichartigen Einrichtungen anderer Unternehmer, sofern ihnen die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie die gleichen kulturellen Aufgaben wie die Einrichtungen in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft erfüllen. Nach einem neuen Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) erfasst die Umsatzsteuerbefreiung bei Museen nicht nur die Eintrittspreise, sondern auch andere typische Museumsleistungen mit Kulturbezug. Hierzu gehören auch Führungen für Museumsgäste - jedenfalls, wenn das Museum ausschließlich in Begleitung eines Gästeführers besucht werden kann. Geklagt hatte der Gästeführer eines Museums, das ausschließlich über Gruppenführungen begehbar war. Betreiberin des Museums und Auftraggeberin des Gästeführers war eine gemeinnützige Stiftung, die umsatzsteuerfreie Leistungen für die Museumsbesucher erbrachte. Die zuständige Bezirksregierung hatte dem Gästeführer bescheinigt, dass er als Museumsführer die gleichen kulturellen Aufgaben erfüllt wie vergleichbare Einrichtungen in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft. Während das Finanzamt davon ausging, dass die Umsätze des Gästeführers trotz dieser Bescheinigung umsatzsteuerpflichtig waren, entschied das Finanzgericht (FG), dass die Umsätze steuerfrei bleiben können. Der BFH folgte der Auffassung des FG und hielt die Steuerbefreiung ebenfalls für anwendbar. Umsätze der staatlichen Museen sowie gleichartiger Einrichtungen sind steuerfrei, wenn die zuständige Landesbehörde sowohl dem Museum als auch dem Museumsführer bescheinigt, dass sie die gleichen kulturellen Aufgaben wie staatliche Museen erfüllen. Dies war hier gegeben. Das Museum, in dem ein Gästeführer seine Leistung erbringt, darf auch das Museum einer dritten Person (hier: einer Stiftung) sein. Dass der Kläger mit Gewinnerzielungsabsicht gehandelt hat, war für die Steuerbefreiung unerheblich. Hinweis: Der BFH stellte klar, dass andere selbständige Subunternehmer des Museums, die keine eigenen kulturellen Leistungen erbringen und daher nicht über eine entsprechende Bescheinigung verfügen, nicht umsatzsteuerfrei tätig werden können. Hierunter fallen beispielsweise Sicherheits-, Reinigungs- oder Hausmeisterdienste.Information für: Unternehmerzum Thema: Umsatzsteuer(aus: Ausgabe 09/2022)

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