Aussetzungszinsen: Zinssatz von 6 % pro Jahr als verfassungswidrig eingestuft

Prozessbeteiligte haben in einem finanzgerichtlichen Prozess das Recht, die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten (Finanzamts-)Akten einzusehen. Sie können sich davon Kopien anfertigen lassen, müssen die Kopierkosten hierfür aber selbst tragen. Hinweis: Werden die Prozessakten bei Gericht elektronisch geführt, wird die Akteneinsicht durch die Bereitstellung des Akteninhalts zum Abruf gewährt. Sofern die Akten noch in Papierform geführt werden, muss die Akteneinsicht in den Diensträumen (z.B. einer Behörde) erfolgen. Ein neuer Beschluss des Bundesfinanzhof (BFH) zeigt, dass der Anspruch auf Akteneinsicht sehr schwer wiegt. Im zugrundeliegenden Fall hatte die Klägerin Einsicht in die dem Finanzgericht (FG) vorliegende Finanzamtsakte beantragt. Das FG hatte abgelehnt und erklärt, dass in der Akte nur das gestellte Auskunftsbegehren der Klägerin und das Antwortschreiben des Finanzamts enthalten seien. Beide Schreiben lägen der Klägerin ohnehin vor, so dass sie die Akte nicht einsehen müsse. In der Folge wies das FG die Klage ab. Der BFH hob das finanzgerichtliche Urteil nun in zweiter Instanz auf und erklärte, dass das FG den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt habe, indem es die beantragte Akteneinsicht versagte. Die Einsicht könne nicht mit dem Argument versagt werden, dass die einzusehende Akte lediglich aus wenigen Blättern bestehe, die dem Antragsteller ohnehin bekannt seien. Das FG habe die Akteneinsicht als "pure Förmelei" abgetan. Der Akteneinsichtsanspruch diene aber gerade dazu, dass sich die Prozesspartei selbst des Akteninhalts vergewissern könne. Diese Möglichkeit hatte das FG der Klägerin genommen, so dass das Urteil keinen Bestand haben konnte. Hinweis: In einem zweiten Rechtsgang muss das FG sich der Sache nun erneut annehmen und die Akteneinsicht gewähren. Dass das Verfahren für die Klägerin dann im Ergebnis aber anderweitig ausgeht, kann allerdings bezweifelt werden.     Information für: allezum Thema: übrige Steuerarten(aus: Ausgabe 10/2022)
Ein Zahnarzt, der als sog. Pool-Arzt im Notdienst tätig ist, geht nicht deshalb automatisch einer selbständigen Tätigkeit nach, weil er mit dieser Tätigkeit an der vertragszahnärztlichen Versorgung teilnimmt. Dies geht aus einem neuen Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) hervor. Maßgebend sind nach Gerichtsmeinung vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalls. Das Urteil führte zu einem Prozesserfolg für den klagenden Zahnarzt, der seine Tätigkeit als versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis eingestuft wissen wollte, damit die Kassenärztliche Vereinigung für ihn Sozialversicherungsbeiträge (nach-)zahlt. Der Zahnarzt hatte seine Praxis im Jahr 2017 verkauft und war nicht mehr zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen. In den Folgejahren übernahm er aber immer wieder Notdienste, die von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung organisiert worden waren. Die Vereinigung betrieb ein Notdienstzentrum, in dem sie personelle und sächliche Mittel zur Verfügung stellte. Der Zahnarzt rechnete seine Leistungen nicht individuell je Patient ab, sondern erhielt ein festes Stundenhonorar. Die Deutsche Rentenversicherung Bund sah den Kläger wegen seiner Teilnahme am vertragszahnärztlichen Notdienst als selbständig tätig an, so dass sie keine Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung annahm. Das BSG ging jedoch von einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis aus und verwies auf die Eingliederung des Zahnarztes in die von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung organisierten Abläufe. Der Arzt hatte auf diese Abläufe keinen entscheidenden, erst recht keinen unternehmerischen Einfluss. Vielmehr hatte er eine von dritter Seite organisierte Struktur vorgefunden, in die er sich fremdbestimmt einfügte. Auch war er unabhängig von konkreten Behandlungen stundenweise bezahlt worden und verfügte nicht über eine Abrechnungsbefugnis, die für das Vertragszahnarztrecht eigentlich typisch ist. Dass der Arzt bei der konkreten medizinischen Behandlung frei und eigenverantwortlich handeln konnte, fiel für das BSG nicht entscheidend ins Gewicht. Im Ergebnis unterlag der Zahnarzt mit seiner Notdiensttätigkeit daher der Versicherungspflicht.Information für: allezum Thema: -(aus: Ausgabe 01/2024)
Wenn Steuerzahler Einspruch beim Finanzamt einlegen oder Klage vor dem Finanzgericht erheben, müssen sie die strittige Steuer zunächst einmal zahlen, da diese beiden Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung entfalten. Wer nicht zahlen will, kann aber einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) stellen, so dass er die Steuerschuld zunächst nicht begleichen muss, sofern ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen (summarische Prüfung). Bleiben Einspruch oder Klage nach bewilligter AdV aber endgültig erfolglos, müssen neben der ausgesetzten Steuer auch Aussetzungszinsen von 6 % pro Jahr gezahlt werden. Hinweis: Für Erstattungs- und Nachzahlungszinsen hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits im Jahr 2021 entschieden, dass ein sechsprozentiger Zinssatz ab dem Jahr 2014 verfassungswidrig ist. Für Verzinsungszeiträume ab 2019 wurde dem Steuergesetzgeber vom BVerfG auferlegt, eine verfassungsgemäße Neuregelung zu schaffen. Nach der mittlerweile erfolgten gesetzlichen Anpassung wurde der Zinssatz für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen auf 0,15 % pro Monat (das heißt 1,8 % pro Jahr) abgesenkt. Nun hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass auch der AdV-Zinssatz von 6 % pro Jahr mit dem Grundgesetz unvereinbar ist. Das Gericht rief in dieser Frage deshalb nun ebenfalls das BVerfG an. Zugrunde lag dem BFH-Beschluss der Fall eines Klägers, der Aussetzungszinsen für den Zeitraum vom 01.01.2019 bis 15.04.2021 zahlen sollte. Der BFH erklärte, dass es zumindest in einer anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase nicht mehr erforderlich sei, einen Zinssatz von 6 % anzusetzen, um den durch eine spätere Zahlung erzielbaren Liquiditätsvorteil abzuschöpfen. Weiter verwies der BFH auf die Ungleichbehandlung, die nun im Hinblick auf Erstattungs- und Nachzahlungszinsen bestehe. Hinweis: Es bleibt abzuwarten, wie sich das BVerfG in dieser Frage positionieren wird. Steuerzahler, die sechsprozentige Aussetzungszinsen zahlen sollen, können dagegen Einspruch einlegen und unter Hinweis auf den anhängigen Musterprozess ein Ruhen ihres Verfahrens erwirken.Information für: allezum Thema: übrige Steuerarten(aus: Ausgabe 11/2024)

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